Texterei & Lektorat 

Beate-M. Dapper M. A. 04131 . 720 50 63 dapper@luckytext.de
Peter, Paula und Sankt Martin Eine Vorlesegeschichte zum Nachdenken und Differenzieren Peter hilft seiner kleinen Schwester beim Laternebasteln. Es ist Anfang November, und Peter findet, dass Paula ziemlich faul war. Die Laterne hat gerade mal ein Grundgerüst als Peter die Sache in die Hand nimmt. Paula lächelt ihren großen Bruder dankbar an. Das tut sie immer, wenn sie etwas von ihm will. Und er fühlt sich dann gut. Doch er ist beim Basteln ungewöhnlich still. Paula sieht ihn fragend an. Als er nicht reagiert, fragt sie: „Was denkst du?“ „Ich denke an Martin.“ „Den aus deiner Klasse?“ „Nein. Sankt Martin.“ „Aha.“ „Ich frage mich, warum Sankt Martin einen Namen hat und der Bettler nicht. Der hat ihm doch erst den ganzen Ruhm eingebracht.“ „Gib ihm doch einen“, schlägt Paula vor. „Das ist nicht dasselbe“, sagt Peter und fügt hinzu: „Ob das heute wohl auch noch so funktioniert?“ „Was?“ „Na, die Sache mit dem Bettler und dem Retter. Dass eben so einer wie Sankt Martin so berühmt wird, weil er einem Bettler ein Stück Mantel abgibt.“ Paula legt ihren kleinen Kopf schief: „Also“, sagt sie, „ich könnte mir schon vorstellen, dass einer, der mit einem Pferd durch die Stadt reitet und einem armen Menschen ein Stück von seinem wallenden Mantel abgibt, eine richtige Sensation sein könnte. – Vorausgesetzt, er missachtet keine Ampel und parkt sein Pferd richtig.“ „Ach, du bist doof“, wirft Peter seiner Schwester entgegen und fügt gleich hinzu: „Ich will das ausprobieren.“ „Und was ist mit meiner Laterne?“ „Die können wir auch noch später fertigmachen. Lange genug hat sie ja rum gelegen.“ Peter steht auf und kramt aus seinen Taschen etwas Geld, eine Taschenlampe, ein paar Bonbons, einen Kaugummi und die Zaubermurmel. Wer weiß schon, was Bettler heute so brauchen. Dann nimmt er noch seine neue Jacke aus dem Schrank, die ihm noch viel zu groß ist. Jetzt schreitet Paula ein: „Mama wird schimpfen, wenn du deine Jacke zerschneidest.“ „Oh, Mensch, danke. Jetzt hätte ich doch glatt meine Schere vergessen“, sagt er schelmisch. Mit einem Schlag wird Paula knallrot im Gesicht. „Quatsch“, beruhigt sie Peter, „ich zerschneide doch nicht meine neue Jacke!“ Paula atmet auf. „Wenn, dann schenke ich sie ihm ganz! Ich nehme nur die große, weil Bettler ja größer sind als ich.“ „Du kennst dich aber aus.“ Peter ist fertig: „Kommst du mit?“ „Hhm“, zögert Paula und beschließt dann: „Ja.“ Es ist erst fünf Uhr. Aber es ist schon ganz schön dunkel. Die Eltern der Kinder kommen erst um sechs nach Hause. Deshalb sollte Peter auf Paula aufpassen. Ob diese Aktion so eine gute Idee ist? Peter schreitet voran. An jeder Ecke bleibt er stehen und sucht einen Bettler. Da ist keiner. Ein paar Straßen weiter. Endlich. Ein Bettler, der wirklich arm aussieht. Ungewaschen ist er und völlig zerzaust. Er sitzt, nein, er hockt am Straßenrand und starrt Löcher in die Luft. Peter spricht ihn an: „Hast du was zu essen?“ „Nee“, antwortet er etwas brummig, „würde ich sonst hier rumsitzen?“ Peter beschließt, ihm etwas zu geben. Aber nur ein Bonbon, weil er so unfreundlich war. Ein Stück weiter sehen die Kinder eine Frau mit einem Schild auf dem Schoß. Paula liest: Keine Arbeit, kein Heim, kein Essen. Bitte helft mir. Peter spricht sie an, doch sie reagiert nicht. Er gibt ihr ein Geldstück und ein Bonbon. Sie war netter. „Es gibt aber viele Bettler“, stellt Paula erstaunt fest. „Waren doch erst zwei!“ Peter schüttelt den Kopf, wirft ihn auf die für Paula nicht sichtbare Seite und schneidet eine Grimasse. „Ich habe Durst“, jammert sie. „Komm, ich kauf dir da vorne etwas im Supermarkt.“ An der Kasse steht eine Frau vor ihnen. Für das Brötchen, ein kleines Päckchen Käse und einen Apfel soll sie 2,56 Euro bezahlen. Sie macht ein ernstes Gesicht und sieht dreimal in ihr Portmonee. Schließlich flüstert sie: „Ich habe nur noch 2,46 Euro.“ Die Kassiererin sieht sie nervös an, weil die Schlange an der Kasse so lang ist. „Das sind zehn Cent zu wenig“, stellt sie fest. „Ich weiß“, sagt die Frau und sieht die Kassiererin flehend an. Doch die bleibt hart: „Dann müssen Sie eben den Apfel wieder zurücklegen.“ Jetzt reißt Peter der Geduldsfaden. Schweigend gibt er der Kassiererin zehn Cent. Nun darf die Frau ihren Apfel behalten und sieht den Jungen dankbar an. Draußen fragt Peter: „Sind Sie eine Bettlerin?“ Entsetzt sieht die Frau ihn an: „Nein, das bin ich nicht. Ich habe nur nicht genug Geld. Manchmal reicht es gerade bis zur Mitte des Monats. Und den Rest muss ich eben hungern. Ich habe mich daran gewöhnt. Aber auf die Straße setzen und betteln? Nein, so weit bin ich noch nicht.“ Sie sieht in das kleine Jungengesicht und sagt: „Ich danke dir aber sehr, dass du mir geholfen hast, denn ich habe wirklich Hunger.“ Peter nickt mit dem Kopf, nimmt seine kleine Schwester an die Hand und hält sie ganz fest. „Wir haben es so gut, Paula.“ Sie nickt. Dann gehen die Kinder langsam, ganz langsam nach Hause. Unterwegs treffen sie die Frau mit dem Schild. Ein Mann steigt gerade aus einem Auto und geht zu ihr. Die Kinder hören wie er sagt: „Und? Hast du heute wieder ein Geschäft gemacht?“ Die Frau nickt und gibt ihm ein Säckchen voller Geld. Dann steigt sie in das Auto, und die beiden fahren weg. Peter und Paula sehen sich an. Ein paar Meter weiter treffen sie den zerzausten Mann. Er hat wohl von jemandem etwas Geld bekommen und sitzt nun mit einer Flasche Schnaps auf dem Bürgerstein. Das Bonbon liegt zertreten neben ihm. Peter und Paula sehen sich an. Schließlich kommen sie zu Hause an und kuscheln sich auf der Couch zusammen. Peter sagt: „Welche Art Bettler mag wohl der damals gewesen sein, den Sankt Martin getroffen hat?“ Paula zuckt mit ihren Schultern und kuschelt sich noch ein bisschen enger an ihren Bruder.
© LuckyTEXT - Beate-M. Dapper M. A.
Dem  stärksten Willen fehlt oft die Kraft, die einer  zarten Emotion selbstverständlich  ist.  Elfriede Hablé, österreichische Aphoristikerin und Musikerin

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Peter, Paula und Sankt Martin Vorlesegeschichte zum Download für Kinder ab ca. 7 Jahre
2 Seiten, A4-Format